Das Theater muss einerseits ein zentraler Fixpunkt der städtischen Kultur sein. Zugleich braucht die Theaterkunst Orte, die für ein Anderes stehen, abseits vom landläufigen Repertoirebetrieb und seinen Anforderungen. In Frankfurt ist das Theater am Turm (TAT) über Jahrzehnte hinweg mit wechselnden Konzeptionen ein solcher Ort gewesen. Mit der schmidtstrasse12 hat das schauspielfrankfurt selbst zu Beginn der Intendanz von Elisabeth Schweeger einen derartigen Raum geschaffen. Vergleichbar mit der Baracke am Deutschen Theater in Berlin ist diese an einem peripheren Unort im Industriegebiet am Rande des migrantisch geprägten Stadtteils Gallus gelegene Halle sechs Jahre lang ein Ort der Erprobung für junge Theaterleute gewesen.
Es gab einen Regelkanon, ähnlich wie bei den Dogmafilmern; manches ergab sich schlicht aus der Not eines für Theaterverhältnisse bescheidenen Etats. Auffälligstes Kennzeichen war das variierbare Einheitsbühnenbild für die Dauer einer ganzen Spielzeit: Ein Theater der Selbstbeschränkung, dem eine gewisse Ästhetik des Ungeschliffenen von vornherein eingeschrieben ist. Der Journalist Stefan Michalzik führte ein Gespräch mit den Regisseuren Armin Petras und Florian Fiedler, die jeder für jeweils drei Jahre die Schmidtstraße künstlerisch verantwortlich geleitet haben, sowie mit der Schauspiel-Intendantin Elisabeth Schweeger.
Stefan Michalzik: Die Schmidtstraße ist über die Jahre hinweg ein Ort gewesen, an dem Dinge möglich waren, die in den Spielstätten am Willy-Brandt-Platz nicht so leicht zu verwirklichen gewesen wären. Ging es bei der Installation der Schmidtstraße darum, einen Ort jenseits des gängigen Stadttheaterbetriebs zu schaffen?
Elisabeth Schweeger: Das war nicht der Auslöser für die Gründung der Schmidtstraße. Die Schmidtstraße wurde erst gegründet, nachdem im Zuge der Konsolidierung des Haushaltes das Budget für das schauspielfrankfurt erheblich gekürzt wurde. Woraufhin ich entschieden habe: Sie können uns zwar das Geld wegnehmen, aber nicht den Kopf. Diesen Phantasieraum haben wir hier im Haus besprochen, und wir wollten in der Schmidtstraße eine dritte reguläre Spielstätte eröffnen, an der ein besonderes Modell versucht wird. Und dieses Modell lautete: Es gibt ein Bühnenbild für das ganze Jahr, und darin finden acht Produktionen statt. Es gab also ein mobiles Bühnenbild, das sich jeweils leicht verändern ließ. Nur zwei Techniker betreuten die Spielstätte, sodass die Schauspieler bei den Umbauarbeiten mithelfen mussten. Es war das erklärte Ziel, dass dort Projekte stattfinden, bei denen neue Formen entstehen können, bei denen beispielsweise auch Filme oder Romane bearbeitet werden können, oder Klassiker neu gedeutet werden können, wo man anders nachdenken kann über Texte, Raum und Verhältnis von Zuschauer zu Spielebene. Allerdings ohne den Luxus eines gängigen Stadttheaterbetriebes.
Michalzik: Über die einzelnen Inszenierungen hinweg, ist die Schmidtstraße ästhetisch durch den Raum geprägt, der ohne Guckkastenbühne auskommt. Ich hatte aber auch den Eindruck, dass es bei Arbeiten an der Schmidtstraße im Ensemble ein verstärktes Gruppenbewusstsein gab.
Armin Petras: Ich hatte vorher schon in der Gaußstraße in Hamburg und am Prater der Berliner Volksbühne gearbeitet, hatte also schon Erfahrungen mit Räumen, die keine Guckkastenräume sind, die Außenspielstätten des Theaters sind. Ich hatte ambivalente Eindrücke gesammelt, war mir aber sicher, dass das für Frankfurt eine große Chance sein würde und habe dann zugesagt. Ich selbst halte die Schmidtstraße bis heute für den schönsten Theaterraum, den es überhaupt in Deutschland gibt. Weil der Raum sehr groß ist, trotzdem aber klar bleibt. Weil er deutlich abwärts vom Zentrum der Stadt gelegen ist und auch noch in der Nähe eines Problembezirks liegt, was ich grundsätzlich toll finde. Die Konzeption, mindestens ein Jahr lang in diesem Raum mehrere Stücke zu machen, bedeutet auf der einen Seite natürlich eine Beschränkung. Auf der anderen Seite bietet es aber auch eine große Freiheit, weil man sich anders und klarer zu den Dingen verhalten muss. Dahinter standen ja noch mehr Ideen. Wir haben zum Beispiel sogenannte Sandwich-Produktionen gemacht, bei denen zwei Produktionen an einem Abend liefen, wobei wir davon ausgingen, dass die eine von beiden sehr viel besser angenommen werden würde, weil es sich um ein bedeutenderes Stück handelt. Dies waren etwa „Glasmenagerie“ oder „Minna von Barnhelm“. Hinzu kam als zweites Stück, das schwieriger zu vermitteln sein würde, im einen Fall Sarah Kanes „Zerbombt“ und im anderen „Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß“ nach einem Film von Godard. Das sind Experimente gewesen, bei denen man in der Tat das Gefühl hatte, wie eine Kommune zu sein, beziehungsweise fast wie eine freie Gruppe zu arbeiten, allerdings natürlich gestützt und unterstützt von Elisabeth Schweeger und dem Haus. Der Großteil der Schauspieler stammte ja auch aus dem Haus.
Schweeger: Wir haben ganz klar festgelegt, dass jede Produktion sechs Schauspieler aus dem Haus bekommt und einen Gast. Und einen kleinen Etat für Kostüm und eventuelle Ausstattungsergänzung.
Petras: Für mich war das die beglückendste Theatererfahrung meines ganzen Lebens. Ich kann das so klar sagen, weil man selbst zwar inhaltlich verantwortlich dafür war, was da passierte, nach außen hin aber vor allem finanziell unabhängig war. Was man in dieser Hinsicht später als Intendant oder Oberspielleiter erlebt, ist weitaus unangenehmer. Dazu kam noch, dass das auch ein graphischer Raum war, in dem wir häufiger Installationen gemacht haben. Dass unsere Vorstellungen in den ersten zwei Jahren immer ausverkauft waren, führte zu solchen Höhenflügen, dass wir irgendwann gesagt haben, wir machen jetzt Stücke, die gewöhnlich überhaupt keiner sehen will, um auszuprobieren, ob das Publikum immer noch kommt. In meinem Fall war dann „Ajax“ die erste Produktion, die weniger Zuspruch fand.
Florian Fiedler: In meiner ersten Spielzeit haben wir auch versucht, Stücke zu spielen, die gewöhnlich eher wenig Resonanz erfahren. Inzwischen ist es aber so, dass sich auch solche Arbeiten verkaufen. Es stimmt aber, dass Gruppe und Raum extrem zusammen wirken. Schon weil es einfach einzigartig ist, vom ersten Probentag an im Originalbühnenbild zu arbeiten. Und auch die Limitierung auf sechs Leute führt natürlich dazu, dass jeder Einzelne mehr Verantwortung übernehmen muss und es daher weniger um einen Hauptdarsteller und fünf Nebendarsteller gehen kann. Ich glaube, dass auch die Schauspieler es immer als ein besonderes Geschenk empfinden, da zu arbeiten. Auch, wenn man nach der Probe manchmal die Requisiten selbst aufräumen muss. Die Techniker gehören in diesem Rahmen auch zur Gruppe und werden auch so wahrgenommen. Wir waren jetzt gerade mit dem „Schloss“ auf Gastspiel in Teheran, und da kam es durchaus vor, dass Schauspieler und Techniker abends zusammen ausgehen. Es gibt da nicht so sehr die übliche Trennung.
Michalzik: Meiner Beobachtung nach hat sich für die Schmidtstraße auch ein besonderes Publikum herausgebildet.
Fiedler: Bei den Premieren habe ich den Eindruck, dass man ein gemischtes Publikum antrifft, in den anderen Vorstellungen findet sich ein jüngeres Publikum.
Schweeger: Die Schmidtstraße ist schon ein geeigneter Ort für eine Stadt wie Frankfurt, die sich modern urban entwickelt und kein eigentliches Zentrum mehr aufweist. Und so war sie für dieses Stadtgebiet, das durch seine hohe Migrationsbevölkerung nicht den leichtesten Stand hat, sicher eine Bereicherung.
Fiedler: Bei „Türke sucht das Superdeutschland“, dem Liederabend mit Özgür Karadeniz, kommen zum Beispiel immer mehr Türken. Auch, weil es Berichte in größeren türkischen Zeitungen gab. Wir wünschen uns natürlich, dass die Menschen, die um das Theater herum wohnen – direkt nebenan ist ein islamisches Zentrum – auch Mal zu uns kommen. Der türkische Liederabend bewirkt zum Beispiel, dass man Menschen bei uns antrifft, die man vorher noch nie im Theater gesehen hat und die dann sagen, sie werden sich in Zukunft auch andere Stücke ansehen. Und eben darum geht es uns ja.
Petras: Als wir damals angefangen haben, war ja auch das TAT gerade geschlossen worden. Für uns war also klar, es muss da noch irgendwelche Menschen geben, die jetzt nicht mehr wissen, wo sie hingehen sollen. Vielleicht gewinnen wir die ja für die Schmidtstraße. Zum anderen waren wir der Auffassung, dass gerade zu diesem Zeitpunkt etwas für die Theaterlandschaft der Stadt unternommen werden muss.
Schweeger: Es ist ganz klar, dass die Stadttheater mittlerweile alternative Formen von Theater integriert haben. Trotzdem sind aber solche Spielorte nötig, um in dieser Arbeit noch weiter zu gehen. Das ist notwendige Pionierarbeit einerseits und notwendige Öffnung zu anderen Theatersprachen andererseits. Es gibt auch Theateraufführungen, die am Großen Haus einfach nicht zu verwirklichen sind, weil sie offener Räume bedürfen für ihre Umsetzung, oder weil es unmöglich ist, siebenhundert Zuschauer pro Abend für ein unbekanntes Projekt zu interessieren. Das braucht Zeit.
Fiedler: Für mich als jungen Regisseur war es natürlich interessant, nicht mit Stücken von unbekannten Autoren anfangen zu müssen, sondern sich gleich einen richtigen Klassiker vornehmen zu können. Dass das dann auch noch in einem sehr ungewöhnlichen Raum stattfindet, macht es noch spannender – und das Besondere an diesem Raum ist ja, dass das Publikum immer Teil des Raums wird, ganz egal, wie man damit umgeht. Es gab damals auch noch weitere Dogmen, wie die Auflage, dass die Stücke zu Anfang nicht länger als anderthalb Stunden gehen durften. Und es war überhaupt erstmal eine große Frage, wie man das Publikum platziert. Es gab ja nur Rollbänke und einen Steg. So hätte man den Raum jedes Mal komplett neu entstehen lassen können. Auf diese Weise muss man sich absolute Grundsatzfragen immer wieder neu stellen.
Michalzik: Gab es denn auch vor diesem türkischen Liederabend, der ja einen Bezug zur Bevölkerungsstruktur im Gallus-Viertel hat, schon einen Versuch, den Austausch mit den Anliegern zu suchen?
Fiedler: Wenn wir beispielsweise Feste oder irgendwelche Sonderveranstaltungen hatten, bin ich mit Hospitanten zusammen durchs Viertel gezogen und habe Zettel mit Einladungen in die Briefkästen geworfen.
Schweeger: Wie viele von den Leuten, die in der Nähe des Spielorts wohnen, letztendlich das Theater besucht haben, können wir ja gar nicht wissen. Ich kann mich zum Beispiel noch an ein Projekt aus dem ersten Jahr erinnern: „Kanak Attack“. Da kam plötzlich eine ganz andere Bevölkerungsschicht ins Theater. Die sind nicht unbedingt später in die Vorstellungen gekommen. Aber Hemmschwellen sind abgebaut worden und das Projekt hat den einen oder anderen doch zum weiteren Theaterbesuch motiviert. Als Armin Petras zum Beispiel hier im Großen Haus „Maria Magdalena“ gemacht hat, mit Abak Safaei-Rad und Falilou Seck, stand das in Beziehung zu der multiethnischen Bevölkerung, die hier in Frankfurt lebt. So wurde es auch kommentiert, als eine Frankfurter Magdalena. Wir stellen fest, dass sehr vermehrt Besucher anderer kultureller Herkunft unsere Vorstellungen besuchen. Die Schichten vermischen sich mittlerweile. Bis ein Theater aber wirklich in ein Viertel hinein wirken kann, braucht es sehr viel Zeit.
Petras: Es liegt vielleicht auch daran, wie sehr sich Theaterleute mit dem Ort identifizieren, an dem sie arbeiten. Ich würde da über mich selbst sagen, dass meine Beziehung zum Spielort zwiegespalten ist. Auf der einen Seite war das, wie ich schon gesagt habe, eine tolle Zeit, andererseits habe ich auch während der Zeit, in der ich Leiter der Spielstätte war, woanders inszeniert. Ich glaube, dass es gar nicht anders geht. Man kann sich nicht an diesem Ort festhalten. Gleichzeitig hätte ich jetzt, wenn ich das noch einmal machen dürfte, das Bedürfnis, ein Jahr an Ort und Stelle zu sein. Je mehr man dort ist, umso intensiver verwächst man mit dem Ort und umso mehr werden auch die Leute im Umfeld aufmerksam auf einen.
Schweeger: Es ist ja auch eine Aufgabe dieser Spielstätte, einem jungen Regisseur die Gelegenheit zu geben, die Verantwortung für so ein Haus zu übernehmen, ohne damit allein zu sein. Natürlich beobachte ich als Intendantin die Vorgänge und gebe Hilfestellungen. Aber es fühlt sich einfach anders an, für Raum und Programm erst einmal verantwortlich zu sein. So kann sich jemand sehr gut in die neue Funktion einüben.
Petras: Sicher ist das für uns beide auch eine Lehrzeit gewesen.
Schweeger: Man lernt, wie man mit wenig Geld umgeht, wie man sich in so einem Apparat bewegt und sich behauptet. Es ging oft genug darum, sich auch mir gegenüber durchzusetzen. Da haben beide Seiten gelernt und sicher auch das Haus und die Schauspieler. Es galt einen anderen Zugriff, ein anderes Verständnis von Theaterkunst zu entwickeln. Selbst die Kulissen zu schieben, ist etwas anderes als von vorne bis hinten bedient zu werden, was im Stadttheater ja meist üblich ist. Leute, die zuarbeiten, gab es dort nicht. Man musste selbst an die Sache herangehen, an die Materie. Dadurch verändert sich meiner Ansicht nach dramatisch das Produkt. Das ist es, was als interessante Erfahrung auch transportiert wird.
Petras: Ich glaube auch, dass das Publikum – ganz egal wie die Raumlösung war – in der Schmidtstraße immer ein besonderes Verhältnis zu den Schauspielern hatte.
Schweeger: Die Nähe spielt da eine große Rolle. Die Besucher gehen auch schon ganz anders in diesen Raum. Ich denke, dass die Arbeit, die an der Schmidtstraße gemacht wurde, dann auch die Produktionen am Großen Haus beeinflusst hat. Dem Ensemble hat es etwa geholfen, dass es hier bei so kleinen Projekten so nah zusammengerückt ist. Die Schauspieler kamen ja aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Und im zweiten oder dritten Jahr hat man gemerkt, wie sie zueinander gefunden haben. Die Arbeit in der Schmidtstraße hat dazu beigetragen, dass solche Vorgänge vorangetrieben wurden.
Michalzik: Verkleinert ein solcher Raum vielleicht auch das Ego des Schauspielers?
Schweeger: Der Schauspieler muss sich hier notwendig als Teil sehen. Er muss alles mitdenken, von der Requisite bis zur Technik. Das muss er im Großen Haus weniger. Dafür gibt es Abteilungen. Er kann sich dort auf der Bühne mehr auf sich konzentrieren, während er in solchen Konstellationen wie in der Schmidtstraße stärker in die Prozesse eingebunden ist.
Fiedler: Vielleicht haben Schauspieler an der Schmidtstraße auch nicht so sehr das Gefühl, sich schützen zu müssen, wie das am Großen Haus der Fall ist. Weil es hier eben nur 120 Leute sind und nicht 700, und weil der Raum im Großen Haus ganz anders zu bespielen ist.
Schweeger: Der Schauspieler wird natürlich auch dadurch geschützt, dass Produktionen an der Schmidtstraße nicht den Anspruch haben, sofort zu funktionieren. Dadurch dass die Arbeit dort als Experiment lief, entstanden natürlich Freiheiten.
Michalzik: Wie sehr hat die Schmidtstraße Ihre späteren Arbeiten am Großen Haus geprägt?
Petras: Es ist eine Form des forschenden Theaters im Sinne von Grotowski. Nach dem Motto: hier ist ein Raum, hier ist ein Stück Brot, ein nackter Mensch und jetzt nimm dir noch einen Text deiner Wahl und dann schau dir an, was daraus wird. Diese Art der Kontemplation, der Suche nach Innen hat komplett mein weiteres Theaterleben bestimmt und bestimmt es nach wie vor. Insofern habe ich alle Arbeiten für die große Bühne immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge gemacht, weil mir immer klar war: diese Arbeiten müssen repräsentieren. Sie müssen das Haus repräsentieren und müssen auch eine Form haben, die für ein bürgerliches Publikum nachvollziehbar ist. Das ist immer auch ein Kraftakt gewesen, der dadurch versüßt wurde, dass ich vorher und danach in die Schmidtstraße zurückkehren konnte, um neue Ideen auszuprobieren.
Fiedler: Durch die Schmidtstraße geprägt, versucht man auch immer wieder, sich an anderen Theatern solche Freiräume zu schaffen. Etwa durch die Art und Weise, wie man Proben ansetzt, wie man besetzt oder wie man mit Zeit umgeht. Die Schmidtstraße ist ein ziemlich „angstfreier“ Raum.
Schweeger: Jeder Raum hat seine Gesetzmäßigkeiten, die bestimmen, wie man agiert und arbeitet. Ich würde meinen, man kann die Arbeit an so unterschiedlichen Spielstätten gar nicht miteinander vergleichen. Trotzdem fließen Erkenntnisse aus Prozessen, wie sie an der Schmidtstraße stattfinden, in eine andere Arbeit ein. Sie bekommen dann aber andere Dimensionen. Von außen sind sie vielleicht gar nicht sichtbar. Manchmal ist der Raum auch einfach stärker. So schön die große Bühne am schauspielfrankfurt auch ist, sie ist auch hochkompliziert. Trotzdem bin ich der Meinung, dass jede Arbeit auch eine Recherche und ein Versuch ist, ganz egal an welchem Ort. Auch im Großen Haus ist jede Produktion eine Suche und hat das Recht zu scheitern. Das gehört einfach dazu.
Petras: Ich glaube, dass Theater für Schauspieler und Regisseure immer wieder die Frage stellt: wie kann ich Angst überwinden? Die Angst, nicht gut zu sein. Die Angst, nicht erfolgreich zu sein. Die Angst, nicht modern zu sein. Entgegen dem allgemeinen Jugendwahn hat der Beruf des Regisseurs natürlich vor allem etwas mit Erfahrung zu tun. Wenn ich 120 mal erlebt habe, dass Angst überwindbar ist, dann ist mir der Raum irgendwann egal. Kollegen wie Dimiter Gotscheff oder Frank Castorf könnten heute hier in der Commerzbank-Arena inszenieren, es wäre ihnen völlig egal, ob da 100.000 Leute hingehen oder 15. Selbst wenn man so eine großartige Chefin hat, wie Elisabeth Schweeger es zu meiner Zeit war und sicher auch heute noch ist, macht man sich ja selbst Druck. Je entspannter, angstfreier, wenn man so will, die Atmosphäre ist, desto größer ist die Chance, dass die Inszenierung gelingt.
Michalzik: Ich würde gerne den Leitungswechsel von Petras zu Fiedler ansprechen. In der Anfangszeit der Schmidtstraße hat ja das Element „Trash“ eine große Rolle gespielt.
Petras (lacht): „Trash“ ist ein Begriff, den ich seit drei oder vier Jahren nicht mehr gehört habe. Ich weiß bis heute nicht so richtig, was das eigentlich meint. Auf jeden Fall ist es nicht so, dass wir bewusst „Trash“ gemacht haben. Dass die Mittel „Spaß“ oder „Verfremdung“ immer eine Rolle gespielt haben, finde ich dagegen schon richtig.
Fiedler: Das liegt einfach auch daran, dass die finanziellen Mittel begrenzt sind. Da hat man eben manchmal lieber einen Pappkarton genommen als einen Linoleumboden. Das wird dann als „Trash“ empfunden. Es ist aber einfach eine Frage der Notwendigkeit.
Petras: Ich habe mich viele Jahre über solche Bezeichnungen geärgert. Aber auf der anderen Seite können Journalisten, die unsere Arbeit für ein Publikum reflektieren sollen, das nur tun, wenn sie über bestimmte Begriffe verfügen. Die Schubladen, in die Inszenierungen gesteckt werden, existieren auch in den Köpfen der Menschen. Bei der Arbeitsweise von Florian Fiedler und mir, sich über einen spielerischen Vorgang einem Text zu nähern, sehe ich überhaupt keinen Unterschied. Es gibt auch junge Regisseure, die komplett anders arbeiten. Es geht nur darum, dass die Vision des Regisseurs irgendwie nachvollziehbar ist. Da ist es egal, ob da fünfzig Müllkartons auf der Bühne stehen oder ob die Bühne leer ist.
Stefan Michalzik ist Theater- und Musikkritiker, vor allem für die Frankfurter Rundschau, die Offenbach-Post und die Rhein-Zeitung.
BETREFF: DISKUSSION
finde die seite, auch wenn ich bis jetzt noch nicht so ganz schlau draus geworden bin, hervorragend! das mag aber auch daran liegen, dass ich als „älteres semester“ mit den neuen forumen der kommunikation und kulturarbeit nicht mehr (oder vielleicht noch nicht) so ganz vertraut bin. werde auf jeden fall dabei bleiben und versuchen, mir einen reim darauf zu machen…
würde jedenfalls vorschlagen, das forum auch anderweitig zu nutzen, etwa als diskussionsplattform zu diversen gesellschaftlich momentan brennenden fragen, in frankfurt aber auch genau so anderswo.
als „kind“ der 68er bin ich es ja gewohnt, dass das theater der ort der politischen diskussion ist, der brisanten fragen ist, und es wäre meiner meinung nach jetzt die zeit dafür, die wichtigste von allen jetzt neu zu stellen.
hier kurz als diskussionsanstoß von mir:
⁃ ist eine gesellschaft, die weitgehend auf das konzept von privateigentum verzichtet, vorstellbar bzw. wünschenswert?
⁃ hat der kapitalismus versagt oder befinden wir uns nur in einer „normalen“ krise, die diesem system immer schon (z.B, weltwirtschaftskrise, tulpenkrise etc.) immanent war?
⁃ was haltet ihr von der ansicht von sloterdijk und anderen, die 68er aufstände wären vor allem als versagen des marktes zu interpretieren, der nicht die richtigen „acesoires“ für die modebewusste jugend bereit hielt?
⁃ ist eine revolution denkbar bzw, muss/ sollte radikale kritik an den bestehenden umständen zwingend auf gewalt verzichten?
⁃ welche generation könnte ein revolutionäres subjekt hervorbringen?
freu mich auf die offene disku!
alex
RE: DISKUSSION
ad1: ist nicht nur wünschenswert sondern zwingend notwendig!
ad2: der kapitalismus hat nicht versagt, er tut im gegenteil das, was er immer schon am besten konnte, und er wird von ganz allein nicht damit aufhören. gewaltverzicht wäre deswegen verrat an der zukunft.
ad3: typisches beispiel dafür, was heutzutage als philosophie durchgeht und doch immer wieder nur den neuesten moden hinter her hechelt, von einem kulturbetrieblichen futtertrog zum nächsten.
ad4: s.o.
RE: RE: DISKUSSION
finde ich für den anfang gar nicht schlecht, die frage freilich bleibt: wo anfangen, und: wer sollte/ könnte so etwas in die hand nehmen? wie alt bist du?
kann das sein, dass wir uns kennen? sagt dir die „wilde lydia“ was?
perfekt!
volltreffer, die pizza ist bestellt und immer noch heiß (extra pfefferoni u.a.)
werde im sommer 68, gehöre also auch schon zu den „älteren semestern“. habe die siebziger hier in frankfurt u.a. quasi „an der front“ erlebt. momentan habe ich das gefühl, dass ziemlich viel von dem, was da so eingeschlafen ist, wieder aktiivert werden könnte, und zehn bis fübfzehn jahre gebe ich uns durchaus noch, um sloterdijk und den anderen pfeifen zu beweisen, dass sie nur schaumschläger sind. ein blick nach frankreich täte übrigens gut.