Lieber Florian Fiedler, lieber Robert Lehniger,
hier ein paar Gedanken zur Schmidtstraße, nicht direkt Antworten auf Ihre Fragen. Ich komme mir manchmal recht exotisch in der Schmidtstraße vor, ich bin sicher einer der ältesten Stammbesucher, geboren 1937. Aber ich gehe nicht nur aus Pflichtgefühl hin, als Journalist, sondern mit Freude und Überzeugung. Groß geworden bin ich nach dem Stadttheater in Regensburg dann mit Fritz Kortner, mit anderen zurückgekehrten Emigranten wie Karl Paryla und Curt Bois, mit Inszenierungen, die noch von Brecht selbst stammten am BE, mit der Schaubühne der 70er Jahre (Stein und vor allem Grüber, das war der größte, unvergessliche Bilder), mit Marthaler und Schleef. Heute gucke ich auf das Theater aus einer neugierig-amüsierten Distanz.
Aber es ist gerade die Schmidtstraße, die immer wieder die Distanz aufhebt. Ich finde es toll, dass es keine Barriere mehr gibt: da vorne auf der Bühne die Künstler, hier im Zuschauerraum: wir. Es entsteht Nähe, eine Intimität, Unmittelbarkeit. Man lernt die Schauspieler viel besser kennen als etwa im Großen Haus. Stefko Hanushefsky, Sebastian Schindegger, Anne Müller, Nadja Dankers, Ruth Marie Kröger, Aljoscha Stadelmann, Özgür Karadeniz, Bert Tischendorf (dessen Desdemona mir aber auch in Erinnerung bleiben wird), Sascha Icks und ein paar andere: sie machen mir den Abschied vom bisherigen Ensemble sehr schwer (soviel zum Stichwort „Liebe“).
Diese Nähe gilt aber nicht nur für die Schauspieler, sondern überhaupt für den Raum, besonders stark beim „Schloss“. Wie da am Anfang nur einige helle Flecken sind, wie die Stimmen von überall her durch das Zwielicht schweben, wie da ein Labyrinth entsteht, in das man selber eingeschlossen ist: ein magischer Moment, den nicht mehr vergisst (soviel zum Stichwort „schönster Anfang“).
Klingt alles ein bisschen pathetisch, aber beim Abschied darf man auch etwas sentimental sein.
Herzliche Grüße
Wilhelm Roth